Meine Top 3 Sommer-Spielplatzbücher 2019

Ich kann nicht mehr aufhören, Bücher über Frauen und Kinder und Männer und Freundinnen und alles zu lesen! Meine Top 3 in diesem Sommer: Daniela Kriens „Liebe im Ernstfall“, Anke Stellings „Bodentiefe Fenster“ und Zuszsa Bánks „Schlafen werden wir später“

Platz 1: Daniela Kriens „Liebe im Ernstfall“. Schwebend zwischen Verzweiflung und Freude

„Der Tag, an dem Paula feststellt, glücklich zu sein, ist ein Sonntag im März“ – mit diesem Satz beginnt Daniela Krien ihren Roman „Liebe im Ernstfall“. Darin liegt etwas Schwebendes, das auch den Titel den Buches ausmacht: Liebe und Ernstfall, glücklich und feststellen – das Leben bewegt sich dazwischen. So weit so banal, für einen Roman mit dem Schlagwort „Liebe“ im Titel aber doch so ungewöhnlich, dass ich gerne weiterlas und meine Vorbehalte gegenüber seichter Frauen- und Liebesliteratur beiseite legte. Und inzwischen auch die gegenüber Bestsellern, denn das Buch ist erfreulich erfolgreich. 

Frauenthemen? Eher unerheblich für mich, so dachte ich lange und las Bücher eben über Menschen – das hat sich nicht nur für mich geändert, auch für Paula, Judith, Brida, Malika und Jorinde. Fünf Frauen um die vierzig. Sie leben in Leipzig, kennen einander flüchtig oder genauer und leben jede ihr eigenes Leben. Jeder von ihnen ist ein Kapitel gewidmet: Paula, deren Baby starb und die ihren Mann verlor und ihre Freundin Judith, die lieber allein bleibt, aber doch nicht ohne Online-Liebe leben kann. Brida, die Schriftstellerin, die versucht sich im Alltag mit Kleinkindern noch lebendige Sätze abzuringen und Götz, den sie eigentlich dazu braucht. Die Musikerin Malika hat Götz verloren und trauert um die Kinder, die sie nicht geboren hat. Ihre Schwester Jorinde dagegen möchte ein eigenes Leben und ist wieder schwanger. Sie alle lieben, sind einsam, enttäuscht, haben verloren und stehen mittendrin. Und jede stellt für sich fest: Es ist so anders geworden, als ich es mir vorgestellt habe! I know. Ihre Männer verändern sich als Familienväter, ebenso die Sexualität und eigentlich sie selbst. Unterdessen fordern und brauchen Kinder mehr, als ihre Eltern vielleicht ursprünglich geben wollten.

Dazwischen ziehen die Mauersegler durch die Straßen, werden Seen durchschwommen und alles wird auf einmal so leicht. So ist Daniela Kriens Sprache, mit der sie ihren Protagonistinnen mit geringem Abstand folgt. Leicht, präzise und kraftvoll. 

Was machen wir mit diesem Leben? Jede ordnet ihre Welt für sich allein und überwindet so nie die Grenzen der eigenen Perspektive. Die sind immer ein wenig zu eng, für all das, was das Leben gleichzeitig so will. Erst da, wo sich zwei Sichtweisen ineinander spiegeln, die eine über die andere denkt und manchmal auch miteinander gesprochen wird – da wo zwei einander berühren wird die Schwebe aufgehoben. 

Daniela Krien: Die Liebe im Ernstfall. Diogenes 2019, 286 Seiten.

Platz 2: Lachend in den Burnout: „Bodentiefe Fenster“ von Anke Stelling

Vor Anke Stellings Buch empfehle ich, gut durchzuatmen und sich darauf einzurichten, das eigene Dasein als Stadtmutter unter Stadtmüttern und Immobiliensuchende unter Immobiliensuchenden von einer harten und ironisch gebrochenen Seite aus zu betrachten. Ein Buch wie eine Axt, um ein mit Kafkas berühmtem Wort zu klassifizieren.

Es geht um eine Sandra – ausgerechnet – die nicht wie ihre Mutter sein will. Sie lebt mit ihrer Familie in einem Gemeinschaftswohnprojekt mit titelgebenden bodentiefen Fenstern. Besucher sagen immer: „Diese bodentiefe Fenster sind ja super für die Kinder! Aber mir wäre das alles zu eng.“ Sandra quält sich zu den Gemeinschaftsversammlungen, die von einem smarten Psychologen moderiert werden, der über alles lächelnd hinweggeht. Ihr Mann möchte mit den „Zombie-Nachbaren“ nichts mehr zu tun haben. Die Türen müssen allerdings immer offen sein.

Stelling schreibt komisch und ich habe ein paarmal laut gelacht. Feinste Ironie und analytische Brillianz sind ihre Stärken. Das liest sich wie ein Gespräch bei Wein mit einer guten Freundin (eine ganz bestimmte), nach dem sich alles, was nicht stimmt geordnet anfühlt, weil man selbst den Durchblick wahrt, immerhin. Nur dass Anke Stellings Sandra auf dem besten Weg in den Burn Out ist – wie alle Mütter, die sie umgeben. Zum Beispiel ihre Freundin, deren Mann keine Kinder wollte, aber bereit war, welche zu zeugen. Den Heiligabend verbringt er allein in seinem Zimmer der gemeinsamen Wohnung, nachdem er per SMS die Teilnahme an der Familienbescherung abgesagt hat.

Früher waren sie befreundet und führten vielleicht solche Gespräche miteinander, wie das oben erwähnte. Heute aber belauern sie einander, beurteilen sich gegenseitig nach ihren Kindern/Beziehungen/Jobs/Wohnungen. Es geht um Mütter, die ihre Kinder bewachen, während sie selbst eigentlich von ihnen bewacht werden wollen. Und von denen jede etwas Besonderes für sich braucht: einen afrikanischen Stalker, der Mann als Samenspender, ein Vorleben als Aussteigerin. Hilft aber alles nicht.

Anke Stelling denkt immer noch einen Schritt weiter als ich, gezielt über Grenzen und Denkverbote hinweg. Auch ich analysiere und klassifiziere, suche nach Erklärungen und nach Auswegen wenigstens für uns vier – aber so weit habe ich es selbst nie getrieben damit. Verachtung und Liebe sind beide hier im verzweifelten Wettstreit.

Auch N. las das Buch, wir wechselten uns ab, denn wir bekamen beide schlechte Laune davon und konnten nur wenige Seiten auf einmal lesen. Aber: es brachte uns dazu, anders und weniger persönlich über all das zu sprechen und was kann eine Axt mehr leisten, als das gefrorene Meer in uns zu brechen? Vielleicht wage ich mich bald noch an Anke Stellings Nachfolgeroman „Schäfchen im Trockenen“, in dem es darum geht, wie sie über eine Baugemeinschaft schrieb und all ihre Freunde verlor. Dafür gewann sie den Preis der Leipziger Buchmesse. Und mehr als zwei neue Leser.

Anke Stelling: Bodentiefe Fenster. 4. Aufl., Ullstein Taschenbuch 2019, 249 Seiten.

Platz 3: Ein Buch wie eine Umarmung „Schlafen werden wir später“ von Zsuzsa Bánk

Ein Briefroman, geschrieben in E-Mails von zwei Freundinnen um die vierzig. Die Schriftstellerin Marta lebt mit ihrem Theater-Mann und drei Kindern (eine Elfe und zwei Jungs) in Frankfurt – ihre Freundin Johanna kannte sie schon als Kind. Nun ist jene im Schwarzwald gestrandet, wo sie frisch getrennt ihre Promotion über Annette von Droste Hülshoff, die auch hier wieder zu einer Romanfigur wird, zum Lebensmittelpunkt macht. Sie unterzeichnen ihre E-Mails mit „es liebt dich dreimal deine“ und ja, sie lieben sich wohl. Ihre Liebe scheint dort zu beginnen, wo ihre Männer-Beziehungen enden – es ist ein großes Buch über eine Freundschaft unter Frauen.

„Du jedenfalls hast vierundzwanzig Stunden jeden Tag, die du ausschließlich mit Dir selbst füllst (…), darum beneide ich Dich und dafür bedaure ich Dich, aber nur, weil Du es so einforderst. Ich finde, Du könntest mich ruhig ein bisschen Zurückbedauern, weil das aus meinem Leben verschwunden ist, das ich, ich, ich wurde gelöscht.“, schreibt Márta an Johanna. Die sie nicht bedauert, so wie Frauen sich nie untereinander bedauern für verschiedene Lebensentwürfe. Diese beiden schaffen es, dennoch weiter befreundet zu bleiben (nehme ich an, denn ich stecke noch mitten in der Lektüre). Dabei gibt es all die Aggression, Sorge, Überlastung und Einsamkeit bei der Suche nach dem besseren Leben. Zwischen diesen blütenbunten Buchdeckel wird nichts ausgelassen, was wenig rosig ist am Leben mit kleinen Kindern. Aber auch nicht die Liebe, Freundschaft und Hoffnung. Und die rettende Kraft der Sprache, der Suche nach den richtigen Wörtern, die sich durch die Arbeit und Briefe der beiden zieht. Zsuzsa Bánks Sprache ist opulent und poetisch. Sie erfordert ein eigenes Lesetempo und belohnt durch Sanftheit. Und manchmal erinnert sie sogar ein kleinwenig an Peter Kurzeck, der wie kein anderer Dinge zum Lächeln bringen konnte, ohne Dunkles dabei auszusparen.

Zsuzsa Bánk: Schlafen werden wir später. Fischer Taschenbuch 2018, 683 Seiten.

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