Das Nacheinander-Prinzip lesen

Raus aus der Rush-Hour des Lebens: Zu Eva Corinos klugem Buch „Das Nacheinander-Prinzip“

Einen gelasseneren Umgang mit Familie und Beruf, wie ihn der Untertitel verspricht, wünschen sich ungefähr alle Familien, die ich kenne. Um genau zu sein, wünschen sich dies Männer und Frauen.


Die Journalistin und mehrfache Mutter Eva Corino (Jahrgang 1972) hat sich dieses Wunsches in einem klugen und abwechslungsreich geschriebenen Buch angenommen. Es ist eine fundierte Bestandsaufnahme der sogenannten Vereinbarkeit geworden. Ich selbst bin Jahrgang 1981 und finde es hoch interessant, aus der Perspektive einer erfahreneren Frau zu lesen, wie Arbeit, Familie und Leben zusammen gelingen können. Allerdings haben sich durch die Einführung von Elterngeld und Elternzeit inzwischen auch neue politische Bedingungen für Familien ergeben. Nach meiner Erfahrung hat der Druck und die Eile zwischen 30 und 40 eher noch zugenommen, auch wenn ich die finanzielle Unterstützung sehr, sehr wichtig finde. Und besonders wichtig sind die Anreize für Väter, selbst Elternzeit zu nehmen.

Der Wert der Familienzeit

Als „Gleichzeitigkeitswahn“ bezeichnet Eva Corino in ihrem ersten Kapitel den status quo, in dem Familien mit kleinen Kindern und gut ausgebildeten Eltern heute zwischen Musikgarten und Meeting durch die Gegend hetzen. Und sie beschreibt das Gefühl, das viele Frauen dabei haben: In keinem der Bereiche so richtig gut zu sein.

Aus dieser Situation heraus und auf der Grundlage von Fallbeispielen, Studien und Fachliteratur unternimmt sie den Versuch, Familienarbeit aufzuwerten und gleichzeitig feministisch zu denken. Ob das funktioniert? Es sollte! Dass die berufliche Arbeit für gut ausgebildete und unabhängige Frauen und Männer selbstverständlich ein wichtiger Teil ihres Lebens ist, versteht sich. Dass sich berufstätige Frauen und Männer mehr Zeit mit ihren Kindern wünschen, ist allerdings auch verbreitet. Darum plädiert Eva Corino für eine Zeitaufteilung in der Familiengründungsphase, die sich vor allem an den Bedürfnissen der Familien orientiert und nicht rein an denen des Arbeitsmarktes. Und die es Vätern und Müttern trotzdem erlaubt, zu einem selbst gewählten Zeitpunkt wieder und weiter zu arbeiten.

Den Wiedereinstieg planen

So ist der Zeitpunkt des beruflichen Wiedereinstiegs für viele Frauen inzwischen nach dem ersten Geburtstag des Kindes: Dieser Zeitpunkt ist allerdings entwicklungspsychologisch oft problematisch und entspricht auch nicht dem Wunsch vieler Frauen. Aber dann endet der Elterngeldbezug und natürlich kann es sich nicht jede Familie leisten, länger auf ein Einkommen zu verzichten. Jedenfalls nicht bei gleichbleibendem Kosumniveau. Meine eigene Wiedereinstiegs- und Vereinbarkeitserfahrung nach meiner ersten Elternzeit war vor allem von dem absolut verinnerlichten Drang, wieder arbeiten zu müssen bestimmt. Schließlich war das Arbeiten vorher auch das Wichtigste in meinem Leben, zumindest in meinem Arbeitsleben. Meine damals acht Monate alte Tochter wurde dann für einige Monate von ihrem Papa betreut, was für alle schön war. Nur dass sie mir sehr fehlte, während ich im Büro mit dem Drucker kämpfte und sie mich abends ignorierte, wenn ich nach Hause kam. Und dass ihre Kita-Eingewöhnung mehrere Monate dauerte. An dieser Stelle muss ich unbedingt auch auf Antonia Baums großartiges Buch „Stillleben“ verweisen, das die unvermittelte Verwandlung einer beruflich erfolgreichen Journalistin und Schriftstellerin in eine um das Baby kreisenden Mama und Tchibo-Kram-Käuferin sehr kritisch, nachdenklich und manchmal polemisch beschreibt.

Die Frage ist doch: Was würden Mütter machen, wenn Sie ihren Wiedereinstieg flexibel wählen könnten und wüssten, dass der Arbeitsmarkt ein berechtigtes Interesse an gut ausgebildeten und familiär erprobten Frauen hat, auch wenn sie einige Jahre nur wenig oder gar nicht gearbeitet haben? Also ein Arbeitsmarkt ohne Teilzeitfalle und Vollzeitmänner und mit Sympathie für die Erfahrungen von Müttern.

Also alles schön nacheinander?

Eva Corinos Nacheinander-Prinzip bedeutet: Wir sollten unsere Bedürfnisse als Familie nicht so leicht in den Wind schlagen und die Familienarbeit und Familienkultur hoch halten. Wir sollten klug sein und unseren Wiedereinstieg von langer Hand vorbereiten (und am besten nicht unbedingt Buchwissenschaft oder Ägyptologie studieren). Wir sollten uns dann erlauben, richtig zu arbeiten, wenn es die Umstände auch erlauben und nicht darauf hoffen, dass wir uns schon alle daran gewöhnen.

Was mir allein gefehlt hat, ist der Aspekt der Aufteilung von Familienarbeit zwischen Männern und Frauen – 60% aller berufstätigen Mütter arbeiten Teilzeit, dagegen nur 6% aller Väter. Dabei ist der Wunsch nach einer gleichberechtigten Aufteilung weit verbreitet. Hier braucht es, glaube ich, noch viel gesellschaftliche, finanzielle und moralische Unterstützung und Lobbyarbeit, um endlich etwas zu verändern. Dieser Punkt ist für Eva Corino nicht so zentral, vielleicht weil Männer und Frauen ihrer Generation noch ein ganzes Stück weiter von diesem Wunsch entfernt waren, als wir es sind.

Bei mir, die ich schon deutlich länger Elternzeit nehme, als ursprünglich geplant, hat sich nach der Lektüre tatsächlich eine größere Gelassenheit eingestellt. Mein Gefühl dafür, was gut für meine noch kleinen Kinder und mich ist, ist stärker geworden. Was überhaupt nicht bedeutet, dass ich als gut ausgebildete Frau meine beruflichen Ambitionen für immer aufgebe – im Gegenteil.

Eva Corino: Das Nacheinander-Prinzip. Vom gelasseneren Umgang mit Familie und Beruf. Berlin: Suhrkamp 2018, 278 Seiten.

Weiter lesen:
Antonia Baum: Stillleben. München: Piper 2018, 220 Seiten.
Informationen und Beratung zum Wiedereinstieg vermittelt das bundesweite Programm Perspektive Wiedereinstieg:  https://www.perspektive-wiedereinstieg.de/

Ein Gedanke zu „Raus aus der Rush-Hour des Lebens: Zu Eva Corinos klugem Buch „Das Nacheinander-Prinzip““

  1. Das Buch muss ich wohl auch mal lesen! Du klingst jedenfalls wirklich beneidenswert entspannt und ich mache mir jetzt schon wieder Stress, wann ich wieder wie viel arbeiten sollte…
    Liebe Grüße Lena

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